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Café DenkMal Philosophisches Café am 7. September 2018 Thema: Vereindeutigung versus Komplexität

In Deutschland ist der Vogelbestand seit 1800 bis heute um 80 Prozent zurückgegangen. Noch schlechter als den Vögeln geht es den Insekten. (Thomas Bauer)

Alles, was interpretiert und gedeutet werden mus,s ist nicht mehr rein. (Thomas Bauer)

Wenn Ambiguitätstoleranz verschwindet, dann verliert Religion ihre Mitte, also den durch Zweifel domestizierten Glauben an etwas Transzendentes im Bewusstsein, dass Glauben kein sicheres Wissen vermittelt. Und dann verliert Religion auch die Gewissheit, dass religiöse Texte interpretiert werden müssen, um Antworten zu finden, die aber nur Wahrscheinlichkeit und vorübergehende Gültigkeit für sich beanspruchen können, nie jedoch absolute Wahrheit. (Thomas Bauer)

Bei uns dominiert aber ein anderes Genre die Literatur über die Maßen: der Krimi. Gegenstand eines Krimis ist aber nicht die Herstellung von Ambiguität, sondern zumeist seine Auflösung. (Thomas Bauer)

In Gesellschaften, in denen Ambiguität tendenziell als unangenehm empfunden wird, werden sich Menschen, die sich unwohl fühlen, wenn sie mit zweideutigen Situationen konfrontiert werden, Angebote der Vermeidung von Zweideutigkeit tendenziell eher annehmen und bei erfolgreicher Mehrdeutigkeitsvermeidung nach noch mehr Vereindeutigung streben. Ein Symptom hierfür ist der allgemeine Erklärungs- und Verstehenswahn. Alles muss geklärt, alles soll verstanden werden, und wenn man etwas nicht versteht, gilt es nichts. […] Da alle zu allem eine Meinung haben, wächst das Misstrauen gegenüber der Wissenschaft. (Thoma Bauer)

Nur die bunte Welt des Konsums versorgt uns noch mit einer Fassade der Vielfalt, der Fassade einer Scheinvielfalt allerdings, hinter der sich ein ewiggleiches Einerlei an billigen Sinnesreizen für raschen Augen-, Ohren- und Gaumenkonsum verbirgt. (Thomas Bauer)
[…], dass die moderne Gesellschaft in ihrer ganz eigenen Form der Komplexität davon geprägt ist, dass es keinen Ort gibt, von dem her man sie konkurrenzlos und gültig beschreiben kann. Mehr noch: Sie kennt keinen Ort, der es ermöglicht, auf die Gesellschaft zuzugreifen. Man kann auch nicht durchregieren, man muss vielmehr lernen, dass sich die Gesellschaft dem regulierenden Zugriff schon deswegen entzieht, weil Unterschiedliches gleichzeitig abläuft und nirgendwo ein Hebel zu finden ist, von dem her sie wirklich beeinflusst werden kann. (Armin Nassehi)

Die Folge ist ein Kulturkampf um sagbare Sätze. (Armin Nassehi)

Erst eine Diagnose, die nicht Wahrheiten im Sinne unterstellter Kausalität formuliert, wird in der Lage sein, eine realistische Diagnose und Strategie anzubieten, und sie wird auch zeigen können, dass es umgekehrt die klassischen Diagnosen der fehlenden Gemeinschaft oder der fehlenden Einsicht oder des angemessenen Umbaus sind, die sich davon entlasten, sich Komplexitätsfragen zu stellen – als Fragen, die Alternativen nicht einfach  anbieten, sondern stets damit rechnen, dass ein komplexes System anders reagiert, als wir es antizipieren. (Armin Nassehi)  

Literatur: Thomas Bauer (2018). Die Vereindeutigung der Welt. Über den Verlust an Mehrdeutigkeit und Vielfalt. Stuttgart: Philipp Reclam jun.

Armin Nassehi (2017). Die letzte Stunde der Wahrheit. Hamburg: Sven Murmann.



Café DenkMal Philosophisches Café am 3. August 2018 Thema: Genuss verlangt erwachsene Kompetenzen  

Erwachsenheit: Diese Haltung bedeutet, manche Unannehmlichkeiten oder Übel ebenso als notwendige Begleiterscheinungen des Lebens zu erkennen wie die eigenen Möglichkeiten, sie zu ertragen oder zu überwinden. (Robert Pfaller)

Durch Ermunterung zur Empfindlichkeit hat sie  [Pseudopolitik] Menschen infantilisiert. Dadurch aber hat sie sie auch entsolidarisiert. (Robert Pfaller)
In der postmodernen >Toleranz<. wird jedem Individuum das uneingeschränkte Recht zugestanden, ein völliger Idiot zu sein. (Robert Pfaller)

Man warnt Erwachsene vor Erwachsenensprache, vor bösen Witzen, vor sachhaltiger Argumentation, die als verletzend empfunden werden könnte, vor Dissens ebenso wie vor Tabakkultur, rät ab von Stöckelschuhen oder Röcken und Blusen, empfiehlt geschlechtsneutrale Schlabberkleidung, geschlechtsspezifische Berufstitel, gendergerechte Sprache, entweder dritte Toilettentüren oder die Abschaffung der zweiten, verbietet Parfüms, verächtliche Worte und elementare Gesten der Höflichkeit wie das Aufhalten von Türen für Nachkommende. (Robert Pfaller) Wenn aber nicht mehr gefeiert werden darf, wenn sämtliche >positiven Kulthandlungen<., in denen das Närrische, Heitere, Ausgelassene, Frivole etc. zu seinem Recht kommen und gewürdigt werden darf, durch Verinnerlichungen, Verbote und asketische, >negative<. Kulte ersetzt werden, dann zeigt sich alles Heilige in dieser Kultur, sogar das >Heilige des Alltagslebens<, nur noch von seiner abstoßenden, schmutzigen Seite – als jenes >schmutzige Heilige<., dessen Begriff Freud im ambivalenten Wort >tabu< erkannte. (Robert Pfaller)
Solange alle nur darüber nachdenken, was sie sein wollen, kommen sie nicht mehr dazu, zu überlegen, was sie haben wollen. (Robert Pfaller)

Die Regeln der Kultur sind keine Verbote; sie verbieten den Individuen nichts, sondern sie gebieten ihnen vielmehr das, was diese sich selbst von sich aus niemals erlauben würden. Genau dazu benötigen wir die Gebote der Kultur – als Ermöglichungsbedingungen von Lust, als Lustressourcen; denn – wie Freud in seiner Theorie der vielfältigen und konfliktuellen Sexualtriebe erkannte – gehemmt sind wir selber. (Robert Pfaller)

Die Werbewirtschaft zielt genau auf diesen Konsumenten ab, der im Konsum von Massenware seine Identität findet. […] Die kapitalistische Wirtschaftsweise braucht also weniger das autonome als vielmehr das authentische Selbst. (Thomas Bauer)

Literatur: Thomas Bauer (2018). Die Vereindeutigung der Welt. Über den Verlust an Mehrdeutigkeit und Vielfalt. Stuttgart: Reclam
Robert Pfaller (2017). Erwachsenensprache. Über ihr verschwinden aus Politik und Kultur. Frankfurt am Main: Fischer.

Café DenkMal Philosophisches Café am 6. Juli 2018 Thema: Empfindlichkeitskultur

Empfindlichkeit: Das Ausmaß an Ansprechbarkeit für Außenwelteinflüsse. Man teilt sie oft ein in Sensitivität (Empfindlichkeit gegenüber einem Reiz) und Sensibilität (Empfindlichkeit gegenüber Reizunterschieden). Im allgemeinen Sprachgebrauch oft unterschieden als empfindsam und feinfühlig. (nach Arnold, Eysenck, Meili, Lexikon der Psychologie)

Empfindsamkeit: Sonderform der Gefühlsregungen, di sich durch einen überhöhten Grad der Gefühlserregbarkeit und Ansprechbarkeit des Erlebens äußert. (nach Arnold, Eysenck, Meili, Lexikon der Psychologie)

Empfindsamkeit: Seit G. E. Lessing und J. H. Campe Begriff für Sentimentalität, die Neigung sich anrührenden Vorstellungen und den entsprechenden Gefühlen hinzugeben. Dies äußerte sich zuerst in den englischen Romanen des 18. Jahrhunderts. Empfindsamkeit lässt sich philosophisch als Fähigkeit seelischer Anteilnahme bestimmen, die sich im Medium sinnlichen Erlebens, vorzüglich der Kunst entwickelt, daher findet sich Empfindsamkeit vor allem bei Fragen um Ästhetik. Hier ist es das das Vermögen Empfindsamkeit zu steuern oder unabhängig von der subjektiven Gefühlswelt zu sein (Kant). (nach Regenbogen, Meyer, Wörterbuch der philosophischen Begriffe)

Jeder, der postet und kommentiert, Nachrichten und Geschichten teilt, ein Handyvideo online stellt, leistet seinen Beitrag, wirkt daran mit, die Erregungszonen der vernetzen Welt endgültig zu entgrenzen. ( Bernhard Pörksen)

Informationelle und damit emotionale Isolation ist im digitalen Zeitalter illusionär; ebendies ist mediengeschichtlich eine Zäsur, die das Kommunikationsklima der Gesellschaft elementar verändert. (Bernhard Pörksen)

Empfindlichkeit ist in den meisten Fällen Dummheit. (Heinrich Mann)

Verachtet niemandes Empfindlichkeit. Das Empfindungsvermögen eines Menschen ist sein Genie. (Charles Baudelaire)

Zu einer übertriebenen Empfindlichkeit des Gemütes kommen Leute, die in ihrem Umgang zu einseitig sind. – Menschenkenntnis stumpft die Empfindlichkeit nicht ab, behütet aber vor ihren Übertreibungen. (Max Haushofer)

Sensibilität ist keine Schwäche, sondern eine Fähigkeit. Empfindlichkeit ist eine Schwäche, aber keine Fähigkeit. (Demetrius Degen)

Das Gute und das Schlechte, das uns widerfährt, erschüttert uns nicht nach seiner Größe, sondern nach unserer Empfindlichkeit. (Francois VI. Duc de La Rochefoucauld)

Die Beleidigungen werden nur durch die bösen Absichten dessen, der beleidigt, und durch die Empfindlichkeit dessen, der beleidigt wird, zu Beleidigungen. (Gotthold Ephraim Lessing)

Jeder heftige Schmerz, sei er körperlich oder geistig, hat die Tendenz, die Empfindlichkeit gegen Schmerz für alle spätere Zeit zu steigern. (John Stuart Mill)

Was wir als Selbstverständlichkeit betrachten, bestimmt unsere Sensibilität. (Gjergj Perluca)

Literatur: Bernhard Pörksen (2018). Die große Gereiztheit. Wege aus der kollektiven Erregung. München: Hanser.
Jaron Lanier (2018). Zehn Gründe, warum du deine Social Media Accounts sofort löschen must. Hamburg: Hoffmann und Campe Ich bin skeptisch gegen jede Aufklärung, die den Interessen der Aufklärer dient. (Werner Hadulla)
Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! (Immanuel Kant)

Man vergesse nicht, dass das, was wir Aufklärung nennen, anderen vielleicht als Verfinsterung scheint. (Adolph Freiherr zu Knigge)  

Aufklärung müsste ein ethischer Imperativ sein, stößt jedoch – anders als Missionierungen – an Verstandesgrenzen. (Raymond Walden) 

Fehler der sogenannten Aufklärung: dass sie Menschen Vielseitigkeit gibt, deren einseitige Lage man nicht ändern kann. (Johann Wolfgang von Goethe)  

Die Aufklärung allein hat die Sittlichkeit der Menschen nicht verbessert, wir finden vielmehr oft reiche und aufgeklärte Völker entmutet – ein frommer, reiner, tapferer Sinn, der erhält die Staaten, nicht Reichtum und Aufklärung. (Heinrich vom und zum Stein)  

Denn der Mensch hat ein unwiderstehliches Bedürfnis, sich aufzuklären. Ohne Aufklärung ist er nicht viel mehr als ein Tier. (Heinrich von Kleist)  

Alle Aufklärung ist nie Zweck, sondern immer Mittel; wird sie jenes, so ist's Zeichen, dass sie aufgehört hat, dieses zu sein. (Johann Gottfried von Herder) 

Missbrauch der Aufklärung schwächt das moralische Gefühl, führt zu Hartsinn, Irreligion und Anarchie. Missbrauch der Kultur erzeugt Üppigkeit, Gleißnerei, Weichlichkeit, Aberglauben und Sklaverei. Wo Aufklärung und Kultur mit gleichen Schritten fortgehen, da sind sie sich einander die besten Verwahrungsmittel wider die Korruption. (Moses Mendelssohn)  

Man spricht viel von Aufklärung, und wünscht mehr Licht. Mein Gott was hilft aber alles Licht, wenn die Leute entweder keine Augen haben, oder die, die sie haben, vorsätzlich verschließen? (Georg Christoph Lichtenberg)   
Zu dieser Aufklärung aber wird nichts erfordert als Freiheit; und zwar die unschädlichste unter allem, was nur Freiheit heißen mag, nämlich die: von seiner Vernunft in allen Stücken öffentlichen Gebrauch zu machen. Immanuel Kant) 

Was hat man für Recht dazu, dem Pöbel, dem größeren Teil der Menschen, die Aufklärung vorzuenthalten? Wer gab uns das Recht, der Richter seiner Einsicht und seines Schicksals zu sein? Wenn er die Aufklärung missbraucht: so wird er es nicht mehr tun als die, die jetzt aufgeklärt sind. Freilich der Übergang von Finsternis zu Licht geschieht allemal in einem Orkan. – Man regiert, um sie dumm zu erhalten: und erhält sie dumm, um sie zu beherrschen. (Jean Paul)

Daher kann ein Publikum nur langsam zur Aufklärung gelangen. Durch eine Revolution wird vielleicht wohl ein Abfall von persönlichem Despotismus und gewinnsüchtiger oder herrschsüchtiger Bedrückung, aber niemals wahre Reform der Denkungsart zustande kommen; sondern neue Vorurteile werden ebensowohl als die alten zum Leitbande des gedankenlosen großen Haufens dienen.

).
(nach wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Resilienz_(Psychologie))

Café DenkMal Philosophisches Café am 4. Mai 2018

Thema: Psychosomatik oder wie Psyche und Körper die Gesundheit beeinflussen
Psychosomatik:

Ein heute immer noch stiefmütterlich behandeltes Gebiet der Medizin und Teilgebiet der medizinisch-psychologischen Forschung. Der Begriff wurde Anfang des 19. Jahrhunderts von dem Psychiater J. Ch. A. Heinrich Heinroth formuliert. Er sah somatische Gebrechen durch psychische Einflüsse entstanden. Im Unterschied zur heutigen Schulmedizin bzw. Organmedizin, die äußere Noxen (Krankheitsursachen) annimmt wie Bakterien oder Gallensteine usw., fragt die Psychosomatik danach, was die körperliche Funktion beeinflusse und das funktionale Gleichgewicht störe.
Die Psychogenese sieht einseitig die Wirkung des Psychischen als kausalen Einfluss auf den Körper.
Modernere Richtungen sprechen von einer Multikausalität. Es werden somatische, psychische und soziale Faktoren angenommen. (nach Ursula Dechene, Psychologie zum Nachschlagen)  


Psychosomatik:
Grenzgebiet von Medizin, Psychologie und Psychotherapie, das sich mit den seelisch bedingten oder mitbedingten, körperlichen Erkrankungen befasst. Die Psychosomatik geht auf uralte medizinische Überlieferungen (vor allem der von Magie bestimmten Heilkunde der primitiven Medizinmänner) zurück, erhielt ihre wichtigsten Anregungen aber von der Psychoanalyse und Tiefenpsychologie. Es finden sich zwei grundlegende Mechanismen bei psychosomatischen Krankheiten: 1. Die Konversion, bei der Teile des Organismus, die sonst willkürlich beherrschbar sind, durch unbewusste Kräfte gestört werden. 2. Die vegetative Neurose, eine Körperreaktion auf immer wiederkehrende Gefühlszustände, die gewissermaßen den Organismus so lange unter Druck setzen, bis er an einer schwachen Stelle mit einer Krankheit entkommt. (nach Wolfgang Schmidbauer, Psychologie, Lexikon der Grundbegriffe)

Die Heilkunde war zu allen Zeiten in der einen oder anderen Art psychosomatisch, und musste es auch immer sein; nicht so jedoch die Pathologie. (Pedro Lain Entralgo, Medizinhistoriker)

 Thure von Uexküll hat immer wieder darauf hingewiesen, dass Psychosomatik sich auf ein bestimmtes Denkmodell bezieht, das er dem Bild des Menschen als Maschine entgegensetzt, deren Funktionsweise zwar unendlich komplex, letztlich aber bei ausreichend konsequenter Forschung und Zerlegung in immer kleinere Einzelteile erklärbar ist oder in naher Zukunft sein wird. (Wolf Langewitz)  

Psychosomatik: In einer kranken Seele wohnt auch ein kranker Körper. (Gerhard Uhlenbrock)

Wir sollten die Psychiatrie als Beziehungsmedizin verstehen. (Thomas Fuchs)  

Allein nach Zahlen wird man nicht helfen können, weil man allein nach Zahlen schlichtweg den kranken Menschen nicht verstehen kann. (Giovanni Maio)  

Krankheit und Gesundheit sind keine absoluten Größen. Sie sind auch im Zeitalter der Messbarkeit nur begrenzt objektivierbar. Sie sind immer Ausdruck von Befindlichkeit und sozialer Bewertung. (Asmus Finzen)


Café DenkMal Philosophisches Café am 6. April 2018
Thema: Was ist Körper? Was ist Leib?


Körper,
Lehnwort des 13.Jahrhunderts vom lateinischen corpus. Zunächst war nur der menschliche und tierische Leib gemeint. Dann auch gleichbedeutend mit Ding. In der Geometrie jedes begrenzte dreidimensionale Gebilde. In der Physik ist Körper die einen Raum von bestimmter Umgrenzung erfüllende feste, flüssige oder gasförmige Materie mit den Eigenschaften der Ausdehnung, Teilbarkeit, Trägheit und Schwere. In Bezug auf die lebendige Natur wird Körper meist gleichbedeutend mit Leib gebraucht. (nach Regenbogen, Meyer, Wörterbuch der philosophischen Begriffe)

Leib, 1. der beseelte Körper im Unterschied zur unbeseelten toten Materie, 2. Der jeweils eigene Leib, seltener verwendet im Sinne von Leib eines andern Menschen, im Unterschied vom Körper eines Tiers, 3. Der menschliche Körper im Unterschied zu seiner Seele, auch die die Seele, soweit sie in Erscheinung tritt. (nach Regenbogen, Meyer, Wörterbuch der philosophischen Begriffe)

Der Körper ist der Palast der Seele. (Abraham Ibn Esra)

Durch den Körper wird der Schatten bewegt. (Lü Bu We)

Es ist der Geist, der sich den Körper baut. (Friedrich von Schiller)

Der Körper ist nur die Form der Seele. (Immanuel Kant)

Der Körper ist der Übersetzer der Seele ins Sichtbare. (Christian Morgenstern)

Der menschliche Körper ist nur ein Zusammenspiel von Energien. (Dalai Lama)

Der Körper ist an keiner Stelle ohne Seele, weil sie mit ihrer eigenen Wärme den ganzen Körper durchströmt. (Hildegard von Bingen)

Die Seele ist nicht räumlich im Körper, Körper ist vielmehr in der Seele. Einheit und Wahrheit sind das gleiche. (Giordano Bruno)

Sterben heißt, den Tod am eigenen Leib erfahren. (Edith Stein)

„Jeder Mensch hat zwei Wege zu der Überzeugung, dass er hier und jetzt ist. Der eine Weg besteht im Betasten und Besehen des eigenen Körpers, der als feste, stetig zusammenhängende, durch eine rings umschließende Oberfläche bedeckte Masse in einem Umfeld wahrgenommen wird, in dem er seinen festen bestimmten Platz hat. Dieser Platz ist ein relativer Ort, […]. Der andere Weg dazu, sich hier und jetzt zu finden, schafft nicht dieselbe messbare Präzision in einem räumlich-zeitlichen Ordnungsrahmen, hat aber den Vorteil, dass unzweifelhaft der Mensch selbst es ist und nicht nur ein Zubehör oder fragwürdiger Repräsentant von ihm, der hier und jetzt gefunden wird. […] Leiblich ist, was jemand in der Gegend […] seines materiellen Körpers von sich selber […] spüren kann, ohne sich der fünf Sinne […] und des aus ihrem Zeugnis abgeleiteten perzeptiven Körperschemas […] zu bedienen. […] Die glatte Oberfläche des menschlichen Körpers lässt sich mit Händen betasten, aber nicht am eigenen Leib spüren. […] Die Flächenlosigkeit des leiblichen Raumes bedingt weitere Abstriche von der gewohnten Raumvorstellung. Als Wesensmerkmal der körperlichen Ausdehnung gilt die Teilbarkeit; […]. Jedes leibliche Volumen ist dagegen unteilbar, weil zur Teilung schneidende Flächen erforderlich wären, die nicht zur Verfügung stehen. Ebenso wenig kann solches Volumen Ränder haben und berandete Figuren bilden. Noch einschneidener ist die Abweichung, dass die leibliche Ausdehnung von sich aus, so wie sie im bloßen Spüren erfahren wird, keine Gelegenheit bietet, stabile Lagen und Abstände und über diesen relative Orte einzuführen.“ (Hermann Schmitz 2011. Der Leib. Berlin/Boston: Walter de Gruyter)


Café DenkMal Philosophisches Café am 2. März 2018
Thema: Das Leib-Seele Problem

Unter dem Leib-Seele-Problem wird die Schwierigkeit verstanden, wie zwei so diametral entgegengesetzte Wirklichkeiten wie der materielle menschliche Leib und die geistige Seele eine so radikal innere Einheit bilden können, dass sie den einen Menschen bilden. Dies zeigt sich konkret in der Fähigkeit der sinnlichen Wahrnehmung und der willentlichen Bewegung, aber auch bei den von der Psychosomatik untersuchten Einwirkungen seelischer Zustände auf das körperliche Befinden und umgekehrt. Ferner ergibt sich das Leib-Seele-Problem aus der Erfahrung des natürlichen Todes, bei dem der Körper zunächst äußerlich unverändert zurückbleibt, aber nicht mehr belebt ist und deshalb früher oder später der Verwesung anheimfällt. […] Das Leib-Seele-Problem ist nur lösbar, wenn Geist und Materie nicht nur als Gegensatz, sondern auch als aufeinander bezogen aufgefasst werden, und dem Leben eine vermittelnde Position zwischen beiden zuerkannt wird. Dies bedeutet keinen Panpsychismus, sondern die Überzeugung, dass auch die Materie Elemente des Geistigen in sich trägt, was sich schon daran zeigt, dass sie mathematischen Gesetzen gehorcht. (so Schöndorf, in: Brugger Schöndorf, Philosophisches Wörterbuch)

 Prinzipien (entnommen aus: Brüntrup):
1.      Die physische Welt ist kausal lückenlos geschlossen.
2.      Aus der kausalen Geschlossenheit der physischen Welt folgt die kausale     Wirkungslosigkeit mentaler Entitäten.
3.      Mentale Entitäten sind kausal wirksam.

Oder:
1.      Alles Reale ist physischer oder mentaler Natur.
2.      Das Mentale und das Physische sind völlig verschieden.
3.      Zwischen Mentalem und Physischem gibt es eine bidirektionale kausale Interaktion.

Oder:
1.      Jeder mentalen Veränderung entspricht eine physikalische Veränderung.
2.      Jeder physikalischen Veränderung entspricht eine Änderung in den kausalen Beziehungen.
3.      Also sind die mentalen Veränderungen relevant für die kausalen Beziehungen.

 Oder:
1.      Mentale Ereignisse stehen in kausaler Wechselwirkung mit physischen Ereignissen.
2.      Kausale Wechselwirkungen zwischen Ereignissen fallen immer unter strikte Gesetze.
3.      Es gibt keine strikten psychophysischen Gesetze.
4.      Strikte Gesetze gibt es nur in der Physik.
5.      Ereignisse unter einer mentalen Beschreibung lassen sich nicht unter strikte Gesetze subsumieren.
6.      Ereignisse, die sich unter strikte Gesetze subsumieren lassen, sind physische Ereignisse.

Oder:
1.      Es gibt eine unüberwindbare epistemische Kluft zwischen den mentalen Fakten des bewussten Erlebens und rein physischen Fakten.
2.      Wenn es eine unüberwindbare epistemische Kluft zwischen mentalen und physischen Fakten gibt, dann gibt es auch eine ontologische Kluft zwischen den beiden Bereichen.
3.      Also ist der monistische Physikalismus falsch.

Literatur
Godehard Brüntrup, 2016. Das Leib-Seele-Problem. Eine Einführung. 5. Auflage. Stuttgart: Kohlhamme
https://hinsehen.net/artikel/was-bin-ich-seele-oder-nur-belebter-koerper/
https://hinsehen.net/artikel/der-mensch-ist-mehr-als-eine-seele/



lateinisch resilire ‚zurückspringen‘ ‚abprallen‘) oder psychische Widerstandsfähigkeit ist die Fähigkeit, Krisen zu bewältigen und sie durch Rückgriff auf persönliche und sozial vermittelte Ressourcen als Anlass für Entwicklungen zu nutzen. Mit Resilienz verwandt sind Entstehung von Gesundheit (Salutogenese), Widerstandsfähigkeit (Hardiness), Bewältigungsstrategie (Coping) und Selbsterhaltung (Autopoiesis).
Das Gegenteil von Resilienz ist Verwundbarkeit (Vulnerabilität).

Ursprünglich wurde mit Resilienz nur die Stärke eines Menschen bezeichnet, Lebenskrisen wie schwere Krankheiten, lange Arbeitslosigkeit, Verlust von nahestehenden Menschen oder Ähnliches ohne anhaltende Beeinträchtigung durchzustehen. Diese Verwendung des Wortes ist auch heute noch häufig. So werden zum Beispiel Kinder als resilient bezeichnet, die in einem sozialen Umfeld aufwachsen, das durch Risikofaktoren, wie zum Beispiel Armut, Drogenkonsum oder Gewalt, gekennzeichnet ist, und als Erwachsene dennoch zu einer erfolgreichen Lebensführung in der Lage sind.
Resiliente Personen haben gelernt, dass sie selbst es sind, die über ihr eigenes Schicksal bestimmen (sogenannte interne Kontrollüberzeugung). Sie vertrauen nicht auf Glück oder Zufall, sondern nehmen die Dinge selbst in die Hand und haben ein realistisches Bild von ihren Fähigkeiten. Wesentliche Faktoren, die Resilienz beeinflussen, sind personale Faktoren, Umwelteinflüsse und Prozessfaktoren.
Zu den Umweltfaktoren gehören die Unterstützung durch die Familie, die eigene Kultur, die Gemeinschaft, das soziale Umfeld und die schulische Umgebung. Zu den personalen Faktoren gehören kognitive (z. B. Intelligenz, Deutungs- und Sinngebungs-Modelle der Realität, Religiosität) wie auch emotionale, also z. B. seine Fähigkeit, Emotionen und Handlungen zu kontrollieren, seine Selbstwirksamkeitserwartung, die Toleranz für Ungewissheit, die Fähigkeit, Beziehungen aktiv gestalten zu können oder die mehr oder weniger aktive Einstellung zu Problemen (Problemfixierung oder aber Problemlösungsorientierung).
Zu den Prozessfaktoren gehören u. a. die wahrgenommenen Perspektiven, die Akzeptanz des Unveränderbaren und die Konzentration aller Energien auf das als nächstes zu Bewältigende und die dabei entwickelten Strategien. Einige Gruppen von Menschen erweisen sich als besonders resilient. Das sind in der Regel solche, die einen starken Zusammenhalt haben, eher kollektivistisch als individuell orientiert sind und sich durch starke Werte auszeichnen, die von den meisten Leuten aus der entsprechenden Gruppe geteilt werden (in der Resilienzforschung als „shared values“ bezeichnet).
Grenzen der Resilienz und Kritik des Ansatzes Resiliente Personen besitzen die Fähigkeit, Möglichkeiten dort zu ergreifen, wo sie sich bieten. Doch dort, wo sich keine Möglichkeiten bieten, z. B. in wirtschaftlichen Dauerkrisen, sind selbst resiliente Personen machtlos. Resiliente Gesellschaften Im Gesellschaftsdiskurs hat sich „Resilienz“ vor allem als direkter Gegenbegriff zur „Vulnerabilität“ (Verwundbarkeit) etabliert. Im Vordergrund steht dabei vor allem die Frage um die Widerstands- und Regenerationsfähigkeit von Gesellschaften angesichts moderner und zunehmend unvorhersehbarer Risiken (Birkmann 2006), z. B. aufgrund von Umweltveränderungen und -katastrophen.

In der Katastrophensoziologie wird Resilienz als robuste Widerstandskraft ganzer Gesellschaften gegen flächendeckende Verheerungen verstanden und vor allem im Bereich der sozialen Voraussetzungen eines wirksamen Selbstschutzes behandelt (siehe Resilienz (Urbanistik)).

In der ökologischen Forschung dient der Begriff zur Bezeichnung der Fähigkeit von Ökosystemen, sich nach Eingriffen oder Katastrophen wieder zu erholen (siehe Resilienz (Ökosystem)

Café DenkMal Philosophisches Café am 2. Februar 2018
Thema: Glaube versus Wissenschaft? (Teilhard de Chardin)


Teilhard de Chardin
wurde am 01.05.1881 in Sarcenat bei Clermont-Ferrand geboren. Er starb am 10.04.1955 in New York. Nach Teilhard de Chardin entwickelt sich der Kosmos aus einem einfachen Anfang (dem Punkt Alpha) zu einem immer komplexer werdenden System sich differenzierender Teile. Über die Etablierung des Organischen in Form von Pflanzen und Tieren (Biosphäre) schreitet die Evolution zur Entfaltung des Geistigen, das sich in Gestalt des menschlichen Bewusstseins global als „Noosphäre“ ausbreitet. Teilhard de Chardin ging nicht von einem einmaligen Schöpfungsakt aus, Gott lässt die Dinge sich schöpfen. Die Evolution strebt dem mystischen Punkt (Omega) zu, dem Endpunkt des Werdens, in dem sich die „Parusie“, die Wiederkunft Christi am Ende der Zeiten vollzieht. Im kosmischen Christus verschmelzen die Individuen zu einem endgültigen „Ultra-Ego“, durch ihn wird die Evolution zu ihrer Vollendung geführt. In der Menschwerdung ereignet sich der Wendepunkt der Evolution. (nach Bernd Lutz (Hrsg.), Metzler Philosophen-Lexikon)  

Innerhalb eines von Mechanismus und Zufall beherrschten Kosmos hat das Denken, dieses furchtbare Gerade durch das, was an ihm typisch menschlich ist, bleibt der Mensch eine zwar wohlgelungene, aber monströse und störende Schöpfung.

„Materie und Geist: nicht mehr zwei Dinge – sondern zwei Zustände, zwei Gesichter des einen kosmischen Stoffes.“  

Liebe ist die einzige Kraft, die Dinge vereinen kann, ohne sie zu zerstören.

Die Größe eines Flusses wird erst an seiner Mündung begriffen, nicht an seiner Quelle.
Es ist weniger schwierig, Probleme zu lösen, als mit ihnen zu leben.

„Eines Tages, nachdem wir Herr der Winde, der Wellen, der Gezeiten und der Schwerkraft geworden sind, werden wir uns in Gottes Auftrag die Kräfte der Liebe nutzbar machen. Dann wird die Menschheit, zum zweiten Mal in der Weltgeschichte, das Feuer entdeckt haben.“

„Die Welt ist nur nach vorwärts interessant, in dieser Hinsicht geradezu fesselnd.“

„Es gibt eine Innenseite der Dinge, die sich ebenso weit erstreckt wie ihre Außenseite.“

„Der Zweifel ist der Beginn der Wissenschaft. Wer nichts anzweifelt, prüft nichts. Wer nichts prüft, entdeckt nichts. Wer nichts entdeckt, ist blind und bleibt blind.“

„Eines Tages, nachdem wir Herr der Winde, der Wellen, der Gezeiten und der Schwerkraft geworden sind, werden wir uns in Gottes Auftrag die Kräfte der Liebe nutzbar machen. Dann wird die Menschheit, zum zweiten Mal in der Weltgeschichte, das Feuer entdeckt haben.“

"Wir sind keine Menschen, die eine spirituelle Erfahrung machen, sondern wir sind spirituelle Wesen, die erfahren Mensch zu sein."


Café DenkMal Philosophisches Café am 5. Januar 2018
Thema: Remythologisierung


 Mythos: eigentlich die Erzählung, die Fabel, insbesondere die Göttergeschichte. Der Mythos enthält die religiös gefärbte Darstellung von Vorgängen aus dem Natur- und Weltleben und der Weltwerdung unter dem Bilde menschlicher Gestalten oder eines in menschlicher Art dargestellten Tuns und Leidens, wobei die Wesen, die Natur-und Geisteskräfte der Welt als Götter und Helden erscheinen. Man unterscheidet den Mythos, der sich auf Gott und die Götter (theogonisch) bezieht und den, der sich auf die Entstehung der Welt (Kosmogonie) bezieht. Im weiteren Sinne wird unter Mythos jede sich aus Bestandteilen der Wirklichkeit aufbauende und diese als Symbole für göttliche oder metaphysische Mächte und Kräfte verstehende, das Wesen der Erscheinungen in Bildern statt in Begriffen ausdrückende Darstellung metaphysischer Zusammenhänge des Natur- und Menschenlebens verstanden. Plato dichtete Mythen, um durch sie Inhalte seiner kosmogonischen und philosophischen Lehren besser, leichter und eindringlicher zu vergegenwärtigen. (nach Regenbogen/Meyer, Wörterbuch philosophischer Grundbegriffe)

Entmythologisierung:
Rudolf Bultmann hat die Problematik der Theologie und Exegese ganz auf die Frage der Notwendigkeit einer Entmythologisierung der neutestamentlichen Botschaft zugespitzt. Das Weltbild, in dem das Neue Testament sich auslege, sei ein mystisches, während der Mensch von heute sich ausdrücklich oder nichtausdrücklich auf ein naturwissenschaftliches Weltbild bezieht. Um an den Kern der neutestamentlichen Botschaft heranzukommen, sei es notwendig, eine radikale Entmythologisierung vorzunehmen. Allerdings legt zum Beispiel die Tiefenpsychologie dar, dass Mythen einen tieferen Sinn haben, wie es Ethnologen ans Licht bringen, und daher eine nicht wegzudenkende Funktion haben. Bultmann, so der Vorwurf, geht einseitig vom Weltbild des heutigen Menschen aus. (nach Rahner/Vorgrimler, Herders Theologisches Taschenlexikon).  

Es scheint ein großes Bedürfnis da zu sein nach einer «Remythologisierung» der Welt; wir sehnen uns nach Geschichten mit mythischen Elementen, nach Elementen, die das Leben wieder etwas reicher machen. Die gesamte Welt des mythologischen Erklärens, Geschichten rund um Elfen, Engel und Dämonen sind uns etwas abhandengekommen. (Oliver Krüger, https://www.srf.ch/kultur/gesellschaft-religion/ist-fantasy-literatur-eine-neue-ersatzreligion) 

Jeder Mythos reflektiert eine Erfahrung des Heiligen, weil das Heilige eine Verbindung mit der übernatürlichen Welt herstellt. Mircea Eliade und Paul Ricœur sagten, dass „der Mensch ohne das Heilige nicht existieren kann”. […] Der Mensch befindet sich in einer mit religiösen Werten geladenen Welt, er lebt in einer Welt von „Zeichen”, denen Bedeutung nicht nur intellektuell, sondern auch viel weitreichender, existentieller und metaphysischer ist. Das Studium und das Verstehen der Mythen und traditionellen Symbole sind fähig, grundsätzliche existentielle Bedeutungen zu enthüllen, und dementsprechend, eine innere Umwandlung des Lesers herauszufordern. […]. So ist das Heilige die Wirklichkeit par excellence, da nur das Heilige absolut ist, wirksam handelt, Dinge schöpft und sie dauern macht. […] Dieses mythische Bewusstsein bot dem Menschen die Möglichkeit, seinen Platz im Universum zu finden: „der Mythos befindet sich nicht außer der Wirklichkeit, er stellt sich als eine Form der Installation in der Wirklichkeit vor“  (Elena Isai: (http://www.cntdr.ro/sites/default/files/c2010/c2010a43.pdf)


Café DenkMal Philosophisches Café am 01. Dezember 2017
Thema: Umbruch der Gesellschaft durch Digitalisierung

 „[…] die moderne Gesellschaft [ist] in ihrer ganz eigenen Form der Komplexität davon geprägt […], dass es keinen Ort gibt, von dem her man sie konkurrenzlos und gültig beschreiben kann. Mehr noch: Sie kennt keinen Ort, der es ermöglicht, auf die Gesellschaft zuzugreifen. Man kann nicht durchregieren, man muss vielmehr lernen, dass sich die Gesellschaft dem regulierenden Zugriff schon deswegen entzieht, weil Unterschiedliches gleichzeitig abläuft und nirgendwo ein Hebel zu finden ist, von dem her sie wirklich beeinflusst werden kann. Und das gilt folgerichtig auch für ihre Beschreibung.“ (Nassehi)

„Alles wird kontextualisiert, das heißt, wie die Dinge sich darstellen, hängt davon ab, von wo aus wir sie betrachten. Letztlich ist die Gesellschaft voller unterschiedlicher Problemlösungsperspektiven.“ (Nassehi)

„[…] denn was Netzwerke anbieten, ist etwas völlig anderes: Sie ermöglichen eben nicht eine kollektive Weisheit der vielen, sondern eher eine individuelle Klugheit der Einzelnen.“ (Nassehi)

„Es geht dabei eben nicht um Kollaboration und Kollektivität, sondern darum, dass sich die Erreichbarkeit der Welt individualisiert – Pfade werden immer unterschiedlicher, was umgekehrt technische Tools der Identifizierung und Steuerung von Individuen mit Hilfe von Big Data und der Rekombination von Daten und Netzwerken ermöglicht.“ (Nassehi)

„Die Welt sieh analog aus, nämlich so, wie wir sie sehen, sie operiert aber digital.“ (Armin Nassehi)

„Das Reafferenzprinzip kompensiert die Mannigfaltigkeit von Umweltsignalen durch ein Selektionsprinzip, das aus einer chaotischen Fülle von möglichen Informationen diejenigen destilliert, die aus der chaotischen eine handhabbare, wahrnehmbare, kalkulierbare Umwelt machen.“ (Armin Nassehi)

„Das Verhältnis von digitalen und analogen Welten wird erst dann sichtbar, wenn analoge Bilder nicht mehr genügend Informationen bieten - und dies scheint exakt die Erfahrung zu sein, die der Ausgangspunkt für gesellschaftliche Krise beziehungsweise Krisenerfahrungen sind.“ (Armin Nassehi)

„Die Kulturbedeutung des Computers besteht gewissermaßen darin, analoge Realitäten auf Grundbestandteile hin aufzulösen und zu rekombinieren.“ (Armin Nassehi)

„Die Digitaltechnik lässt hinter der sichtbaren Realität einen Fundus an Zusammenhängen vermuten, der durch analoge Formen der Beobachtung nicht mehr einzuholen ist.“ (Armin Nassehi)

„Die Sensorik, die erst ausreichend big Daten anfallen lässt, ermöglicht eine besondere Form der Mustererkennung, also letztlich eine digitale Form der Wahrnehmung.“ (Armin Nassehi)

Bilder, die heute digital zu Prixelbrei verwurstet werden, speicherte man früher in der Seele ab. (Georg Skrypzak)

In welcher Welt leben wir, dass wir Menschen nur noch digital anstupsen, um Aufmerksamkeit zu erregen, anstatt jemanden real zu umarmen, um Wertschätzung zu verschenken? (Steffen Kirchner)

Digitale Auszeiten sind analoge Mehrzeiten. (Helmut Glaßl)

Die Nicht-Erreichbarkeit – der neue Luxus in der digitalen Arbeitswelt. (Helmut Glaßl)

„Digitale Informationstechnik lenkt ab und schadet der Konzentration und Aufmerksamkeit. Sie behindert Bildungsprozesse, statt – wie vielfach behauptet wird – sie zu fördern. […] Computer verstärken die Bildungsunterschiede zwischen Arm und Reich.“ (Manfred Spitzer)

„Weil derzeit alle Gesellschaften und Kulturen von der Digitalisierung betroffen sind und diese mit einer Geschwindigkeit erfolgt, mit der zuvor noch keine kulturelle Veränderung global vor sich ging, werden zwangsläufig diejenigen gewinnen, die sich rechtzeitig und ernsthaft mit den Risiken und Nebenwirkungen befasst haben.“ (Manfred Spitzer)

Literatur:
Armin Nassehi 2017. Die letzte Stunde der Wahrheit. Hamburg: Murmann Manfred Spitzer 2017: Cyberkrank. Wie das digitalisierte Leben unsere Gesundheit ruiniert. München: Droemer Knaur



Café DenkMal Philosophisches Café am 03. November 2017
Thema: Wie viel Gefühl und viel Denken führen zu einer guten Entscheidung? 

Entscheidung ist im weiten Sinn des Wortes ein Prozess, durch den etwas Ungewisses und Zweifelhaftes zur Klärung kommen soll. Im engen Sinn ist Entscheidung ein ethischer Begriff, der zur praktischen Vernunft gehört. Es ist der intentionale Akt, der dem Handeln unmittelbar vorausgeht. Der Entscheider trägt Verantwortung für diese Tat. Zu freiwilligem Handeln sind nur Lebewesen fähig, die prinzipiell dazu in der Lage sind, Entscheidungen zu treffen. Man kann dabei von einer grundsätzlichen Entscheidung sprechen, ob eine bestimmte Art des Handelns, die sich aufgrund von Wünschen und Neigungen nahelegt, realisiert werden soll. Wenn sie negativ ausfällt, gilt auch die Unterlassung oder das Aufschieben als Handlung. Fällt sie positiv aus, muss in einem zweiten Schritt eine konkrete Handlungsmöglichkeit ausgewählt werden. Dabei geht es um die Wahl von Mitteln zu einem vorgegebenen Ziel. Ethische Entscheidungen haben ferner auch eine existenzielle Dimension, es ist eine Entscheidung darüber, was für eine Art von Mensch der Mensch sein will. (nach Trampota, in: Brugger, Schöndorf, Philosophisches Wörterbuch)

Entscheidungstheorie ist die Summe von Prinzipien zur Optimierung der Entscheidungsfindung. Prinzipien der Betriebswirtschaftslehre, der Spieltheorie und der statistischen Hypothesenprüfung wurden dafür übernommen. Das Ziel ist die Entwicklung von Strategien zur Lösung praktischer Probleme unter Berücksichtigung aller notwendigen Schritte von der Informationserhebung und –verarbeitung bis zur Entscheidung für ein bestimmtes treatment (Behandlung, Handhabung). Nach einer Strategieoptimierung anhand einer Kosten-Nutzen-Analyse wird diejenige Strategie gewählt, die beim jeweiligen Problem den höchsten Gesamtnutzen erbringt. ( nach: Arnold, Eysenck, Meili, Lexikon der Psychologie)

Entschluss ist der letzte Teil des Willensaktes, aus dem unmittelbar die Handlungsbereitschaft folgt. Der Entschluss setzt Überlegung und Abwägung der für die Entscheidung relevanten Aspekte voraus und impliziert das Wissen um die persönliche Verantwortung für diese Entscheidung. Insofern ist der Entschluss von der spontanen Entscheidung, die vornehmlich aus der emotionalen Situation heraus erfolgt, zu unterscheiden. (Arnold, Eysenck, Meili, Lexikon der Psychologie)

Entscheidung ist Beschränkung. (Peter Hille)

Jede Entscheidung ist Verneinung. (Baruch de Spinoza)

Wenn du eine Entscheidung treffen sollst und triffst keine, so ist das selbst eine Entscheidung. (William James)

Überlasse die Entscheidung nicht der Leidenschaft, sondern dem Verstand. (Epicharm)

Der Schwache zweifelt vor der Entscheidung, der Starke danach. (Karl Kraus)

Wohin wir naturhaft neigen, das unterliegt nicht der freien Entscheidung. (Thomas von Aquin)

Wer Entscheidungen nicht plant, sondern sich erst dann darum kümmert, wenn die Entscheidung fallen muss, der handelt zu spät. (Konfuzius)

Eine Entscheidung emotionslos, also ohne Gefühl zu treffen, wird irgendwann zurückschlagen. (Erhard Blanck)

Besser eine Entscheidung aus dem hohlen Bauch als von einem hohlen Kopf. (Fritz-J. Schaarschuh)

Es ist besser, unvollkommene Entscheidungen durchzuführen, als beständig nach vollkommenen Entscheidungen zu suchen, die es niemals geben wird. (Charles de Gaulle)


Café DenkMal Philosophisches Café am 06.10.2017

Thema: Vom Wollen zum Handeln  
Handeln! Handeln! Das ist es, wozu wir da sind. (Johann Gottlieb Fichte)

Handeln ist besser als Wissen. (Heinrich von Kleist)

Erst handeln und dann reden. (Friedrich von Schiller)

Handeln ist leicht, Denken schwer, nach dem Gedanken handeln unbequem. (Johann Wolfgang von Goethe)

Es ist besser zu handeln und es zu bereuen, als nicht zu handeln und es zu bereuen. (Giovanni Boccacio)

Rechtes Handeln folgt dem rechten Denken. (Sokrates)

Die Philosophie lehrt handeln, nicht reden. (Lucius Annaeus Seneca)

Beizeiten quer zu handeln, erspart die Revolution. (Stephan Sarek)

Alles Handeln gipfelt in der Selbst-Verwirklichung. (Bhagavagita)

Ein disziplinierter Geist führt zu positivem Handeln. (Dalai Lama)

Wie wir gegen andre handeln, so handeln andre gegen uns; ja sie werden von uns gezwungen, so zu handeln. (Johann Gottfried Herder)

Man muss handeln können, wie man will, um zu handeln, wie man soll. (Karl Salomo von Lingenthal)

Soziale Ungerechtigkeit fördert unsoziales Denken und Handeln. (Justus Vogt)

Sprecht nicht: Wir wollen leiden, denn ihr müsst. Sprecht aber: Wir wollen handeln, denn ich müsst nicht. (Jean Paul)

B: Sollte die Freiheit nichts anderes sein, als dass es in meiner Macht steht, das, was ich will, auch zu tun? Ich bin nicht frei zu wollen, was ich will?
A: Ihr Wille ist nicht frei, aber Ihre Handlungen sind frei. Sie sind frei zum Handeln, wenn es in Ihrer Macht steht, zu handeln. All die Bücher über die Freiheit zum beliebigen Tun, zum beliebigen Handeln sind dummes Geschwätz; es gibt keine Freiheit zum beliebigen Tun. Das ist ein Wort ohne Sinn und Verstand, das sich Leute ausgedacht haben, die zu wenig davon hatten. (Voltaire)

Was kommen soll, kommt nicht ohne unser Zutun, aber anders als wir denken. Der Mensch ist nicht Herr seiner Taten; wie rein unser Wollen auch sein möge: unser Handeln wird bestimmt durch eine Menge Antriebe und Verhältnisse, die außer uns liegen, aber in uns wirken. (Friedrich Martin von Bodenstedt)

Das Wollen lernt man nicht. (Lucius Annaeus Seneca)

Wenn wir die Ziele wollen, wollen wir auch die Mittel. (Immanuel Kant)

Du kannst tun was du willst: aber du kannst, in jedem Augenblick deines Lebens, nur ein  Bestimmtes wollen und schlechterdings nichts anderes, als dieses Eine. (Arthur Schopenhauer)

Da der ganze Mensch nur die Erscheinung seines Willens ist; so kann nichts verkehrter sein, als, von der Reflexion ausgehend, etwas anderes sein zu wollen, als man ist: denn es ist ein unmittelbarer Widerspruch des Willens mit sich selbst. (Arthur Schopenhauer)

Dem bei weitem größten Teile der Menschen aber sind die rein intellektuellen Genüsse nicht zugänglich; der Freude, die im reinen Erkennen liegt, sind sie fast ganz unfähig; sie sind gänzlich auf das Wollen verwiesen. (Arthur Schopenhauer)


Café DenkMal Philosophisches Café am 01. September 2017
Thema: Die Kolonialisierung der Gefühle  

Der zentrale Antagonismus scheint mir nicht derjenige zwischen Kapital und Arbeit zu sein, wie es Marx noch gedacht hat, sondern derjenige zwischen der systemimmanenten Maßlosigkeit des Wirtschaftslebens und den übrigen Gesellschaftsbereichen. (Franz-Xaver Kaufmann)  

Solche Wirtschaftssysteme beziehen immer neue Bereiche der natürlichen und sozialen Umwelt in den Prozess der Verwertung ein, unabhängig davon, ob damit die Regenerationsbedingungen dieser Bereiche gesichert sind. (F.-X. Kaufmann)  

Am weitesten ist dieser Parasitismus für uns im Bereich der Umweltproblematik ins öffentliche Bewusstsein gedrungen. Aber es gibt viele andere Bereiche, für die man ihn genauso nachweisen kann. (F.-X. Kaufmann)  

Jürgen Habermas spricht von der Kolonialisierung der Lebenswelt. Man hat in den Kolonien die Traditionen dieser Gesellschaften zerstört und gleichzeitig eigentlich diese Menschen in einen Verwertungsprozess einbezogen, der eben derjenige der hochentwickelten Gesellschaften gewesen ist. (F.-X. Kaufmann)  

Transparent werden die Dinge, wenn sie jede Negativität abstreifen, wenn sie geglättet und eingeebnet werden, wenn sie sich widerstandslos in glatte Ströme des Kapitals, der Kommunikation und Information einfügen. […] Transparent werden die Bilder, wenn sie von jeder Dramaturgie, Choreografie und Szenografie, von jeder hermeneutischen Tiefe ja vom Sinn befreit, pornografisch werden. Pornografie ist der unmittelbare Kontakt zwischen Bild und Auge. (Byung-Chul Han)  

Der Kapitalismus ist nur verschuldend. Er verfügt über keine Möglichkeit der Sühne, die den Schuldigen von seiner Schuld befreien würde. Die Unmöglichkeit der Entschuldung und Entsühnung ist auch verantwortlich für die Depression des Leistungsobjekts. (Byung-Chul Han) 

Es gibt eine Grenze für das Aussprechen der Gefühle, die man nicht überschreiten soll. (Lew Nikolajewitsch Tolstoi)



Café DenkMal Philosophisches Café am 04. August 2017

Thema: Einsamkeit

Die Behauptung, dass Einsamkeit für den Betroffenen ein ernsthaftes Problem sein kann, ist ungefähr das Einzige, was stimmt. (Lars Svendsen)

Zu lieben hat immer einen Preis und Einsamkeit ist ein Teil dieses Preises. (Lars Svendsen)

Selbst wenn wir die Einsamkeit wählen, sind wir soziale Tiere. (Lars Svendsen)

Therapie ist es, die Einsamkeit in der eigenen Wahrheit zu lindern und die anderen Lesarten als ebenso wahrhaftig zuzulassen. (Ram Adhar Mall)

Einsamkeit hat den großen Vorteil, dass man die Flucht vor sich selbst einstellt. (Marcel Proust)

Eure schlechte Liebe zu euch selber macht euch aus der Einsamkeit ein Gefängnis. (Friedrich Nietzsche)

Arroganz ist die Schwester der Einsamkeit. (Annette Andersen)

Gesellschaft braucht der Tor, und Einsamkeit der Weise. (Friedrich Rückert)

In der Einsamkeit wächst, was einer in sie bringt, auch deas innere Vieh. (Friedrich Nietzsche)

Die Einsamkeit ist der vertraute Umgang mit sich selbst. (Robert Schumann)

Der Mensch hat ein Grauen vor der Einsamkeit. Und von allen Einsamkeiten ist die moralische die schrecklichste. (Honoré de Balzac)

Alle großen Leidenschaften entstehen in der Einsamkeit. (Jean-Jacques Rousseau)

Wer die Einsamkeit fürchtet, sollte nicht heiraten. (Anton Pawlowitsch Tschechow)

Einsamkeit ist die Mutter aller Ängste. (Publilius Syrus)

Einsamkeit ist der Nährboden des Genies. (Peter Fröhling)

Es ist in der Tat nicht leicht zu unterscheiden, ob sich hinter den Einsamkeitsideen nur ein äußerster Schutz der Festungen des gekränkten Ich verbirgt oder ob eine Personalisierungserfahrung im Durchgang durch den sozialen Tod gelingt. (Helmut Brall)

Vereinsamung ist eine Verlusterfahrung und Einsamkeit eine Verzichterfahrung. Einsamkeit wird erlitten – in der Einsamkeit wird etwas gesucht. (Hans-Georg Gadamer)

Was uns modern plagt, quält und malträtiert, ist nicht nur – und schon gar nicht primär – die Einsamkeit, sondern vor allem der Verlust der Einsamkeitsfähigkeit: die Schwächung der Kraft zum Alleinsein, der Schwund des Vermögens, Vereinzelung zu ertragen, das Siechtum der Lebenskunst, Einsamkeit positiv zu ertragen. (Odo Marquardt)

Je weniger Kommunikation jemand braucht, um so mehr Kommunikation gelingt ihm; je einsamer einer sein kann, desto weniger ist er es. (Odo Marquardt)

Wenn du Einsamkeit nicht ertragen kannst, dann langweilst du vielleicht auch andere. (Oscar Wilde)

Um die Einsamkeit ist’s eine schöne Sache, wenn man sich selbst in Frieden lebt und was Bestimmtes zu tun hat. (Johann Wolfgang von Goethe)  

Literatur:

Helmut Brall (Hrsg.), 1990. Versuche über die Einsamkeit. Frankfurt am Main: Keip Verlag
Lars Fr. H. Svendsen, 2016. Philosophie der Einsamkeit. Wiesbaden: Berlin university press


Café DenkMal Philosophisches Café am 07. Juli 2017
Thema: Mythos Fahrrad oder die Rückeroberung der Stadt


Bei keiner anderen Erfindung ist das Nützliche mit dem Angenehmen so innig verbunden, wie beim Fahrrad. (Adam Opel)

Die physischen Hindernisse, die Frage des Gleichgewichts, die Konzentration und der Blick nach vorn, das alles macht das Fahrrad zu einem Spiegel der Seele. (Elmar Schenkel)

Wer einmal erlebt hat, wie die Stille einer hochalpinen Region plötzlich von dem aufjaulenden Motor eines einzigen Motorrades grausem zerschnitten wird, weiß, dass sich nur eine barbarische Zivilisation dem Verbrennungsmotor unterwerfen konnte. (Paul Konrad Liessmann)

 Durch das Fahrrad entdeckt jeder ein wenig von seinem Körper, seinen körperlichen Fähigkeiten, und erlebt die damit verbundene Freiheit. (Marc Augé)

In dem Augenblick, da die Urbanisierung der Welt die Träume vom Landleben dazu verdammt, sich in Klischees geordneter Natur (Stadtparks) oder in Abbilder phantasierter Natur (Freizeitparks) zu flüchten, verwandelt das Wunder des Radfahrens die Stadt erneut in ein Land der Abenteuer oder zumindest des Reisens. (Marc Augé)

Wenn man den Einwohnern und Besuchern kostenlos Fahrräder zur Verfügung stellt, zwingt man sie, einander zu sehen und zu begegnen, die Straßen in soziale Räume zu verwandeln, den städtischen Lebensraum neu zu gestalten und die Stadt zu träumen. (Marc Augé)

Der erste Tritt in die Pedale ist der Beginn einer neuen Autonomie, er ist ein schöner Ausreißversuch, die spürbare Freiheit, die Bewegung der Fußspitze, wenn die Maschine auf das Verlangen des Körpers reagiert und ihm gleichsam vorauseilt. (Marc Augé)

Dieser Kampf mit dem Raum war eine unvergleichliche und erhebende Übung in Einsamkeit. (Marc Augé)

Unter Radfahrern selbst bescheidensten Niveaus gibt es das Bewusstsein einer gewissen Solidarität, eine Gefühl der Probe und des geteilten Augenblicks, eines gewissen Etwas, das sie von allen unterscheidet und nur ihnen gehört. (Marc Augé)

Als Verdienst ist dem Fahrrad außerdem die Wiederherstellung der Individualität des Radlers anzurechnen, aber auch die Neuerfindung liebenswürdiger, loser sozialer Bande, die zwar flüchtig sein mögen, aber stets von einer gewissen Lebensfreude geprägt sind. (Marc Augé)

So wird das Fahrrad zum Symbol einer ökologischen Zukunft für die Stadt von morgen und einer urbanen Utopie, die die Gesellschaft mit sich selbst versöhnen soll. (Marc Augé)

Vielleicht kann das Fahrrad tatsächlich eine bestimmende Rolle spielen, wenn es darum geht, den Menschen zu helfen, sich ihrer selbst und der Orte, an denen sie leben, wieder bewusst zu werden, indem es zumindest für die Radler die Bewegung umkehrt, die die Städte aus sich selbst hinauskatapultiert. Wir brauchen das Fahrrad, um uns wieder auf uns selbst und auf die Orte, an denen wir leben, zu zentrieren. (Marc Augé)

Wer es einmal wagt, in der Stadt das Fahrrad zu benutzen, dem bietet es eine ganz neue Erfahrung, denn es eröffnet die Möglichkeit, Entfernungen neu einzuschätzen und Verbindungen herzustellen, die sich mit den anderen Verkehrsmitteln nicht erschließen lassen, weil diese an feste Wege gebunden sind. (Marc Augé)

Das Radfahren gibt uns ein Stück kindlicher Seele zurück und damit auch die Fähigkeit zu spielen und den Sinn für Realität. (Marc Augé)

Literatur:

Marc Augé, 2016. Lob des Fahrrads. München: C. H. Beck
Konrad Paul Liessmann, 2010. Die letzte Kehre. Hommage an das Rennrad, in: Konrad Paul Liessmann, 2010. Das Universum der Dinge. Zur Ästhetik des Alltäglichen. Wien: Zsolnay
Thomas Holtbernd: https://hinsehen.net/2017/07/01/korrektur-auf-dem-gepaecktraeger/


Café DenkMal Philosophisches Café am 02. Juni 2017
Thema: Mythos, Mythen, Mythologie

Mythologie
, stammt vom griechischen Mythos = Göttergeschichte und logos = Lehre. Mythologie ist die Lehre vom Mythos, die Überlieferung der Mythen, die Wissenschaft von ihrer Entstehung, ihren Formen und ihrer Bedeutung.

Mythos,
meint eigentlich die Erzählung, die Fabel, insbesondere die Göttergeschichte. Er enthält die religiös gefärbte Darstellung von Vorgängen aus dem Natur- und Weltleben und der Weltwerdung unter dem Bilde menschlicher Gestalten oder eines in menschlicher Art dargestellten Tuns und Leidens, wobei die Wesen, die Natur- und Geisteskräfte der Welt als Götter und Helden erscheinen. Man unterscheidet den theogonischen Mythos (Geburt und Entstehung der Götter),  kosmogonischen Mythos (Entstehung der Welt durch die Götter), den anthropologischen (Schöpfung des Menschen, sein Wesen und durch die Götter bestimmtes Schicksal), den soteriologischen (Erlösung des Menschen und den eschatologischen (Ende der Welt, der Menschen und Götter). Im Weiteren wird unter Mythos die sich aus Bestandteilen der Wirklichkeit aufbauende und diese als Symbole für göttliche oder metaphysische Mächte und Kräfte verstehende, das Wesen der Erscheinungen in Bildern statt in Begriffen ausdrückende Darstellung metaphysischer Zusammenhänge des Natur- und Menschenlebens verstanden; so dichtete Platon Mythen, um durch sie die Inhalte seiner kosmogonischen und philosophischen Lehren besser, leichter oder eindringlicher zu vergegenwärtigen. (nach Regenbogen und Meyer, Wörterbuch der philosophischen Grundbegriffe)

Die Philosophie kann zum einen als Übergang vom Mythos zum Logos angesehen werden, weil nun der Versuch gemacht wird, die Wahrheit begrifflich und argumentativ und nicht mehr in der narrativen Form poetischer Erzählungen darzustellen. Mit dem Aufkommen des Christentums wird der Mythos zunächst kritisch gesehen, da er aus heidnischen Religionen stammt. Normalerweise standen auch alle aufklärerischen Zeiten und Bewegungen dem Mythos kritisch gegenüber, da sie in ihm eine noch unaufgeklärte, vorwissenschaftliche Weise des Selbst- und Weltverständnisses sehen, die es zu überwinden gilt. Vor allem in der Neuzeit wird im Zusammenhang mit der Erforschung der verschiedenen Kulturen und Religionen und der Deutung der in ihnen tradierten Literatur und Dichtung wieder der positive Gehalt des Mythos zum Thema gemacht. Auf der anderen Seite gab es Anfang des 20. Jahrhunderts den Versuch, die Bibel von ihrem mythologischen Gehalt zu reinigen. (nach Brugger, Schöndorf, Philosophisches Wörterbuch)  

Mythen erweisen sich langlebiger als wissenschaftliche Erkenntnisse. (Helmut Glaßl)

Mythen stellen das Langzeitgedächtnis der Menschheit dar. Die Medien bedienen das Kurzzeitgedächtnis. (Elmar Schenkel)

Ich betrachte es als eine Aufgabe kommender Dichtergeschlechter, neue Mythen zu schaffen, und wir wollen ihnen schon vorarbeiten. ( Christian Morgenstern)

Der unerfüllbare Glaube an Perfektion ist der beste Beweis für die Natur des Mythos. (Frank Wisniewski)

Innerhalb eines von Mechanismus und Zufall beherrschten Kosmos hat das Denken, dieses furchtbare Gerade durch das, was an ihm typisch menschlich ist, bleibt der Mensch eine zwar wohlgelungene, aber monströse und störende Schöpfung.

„Materie und Geist: nicht mehr zwei Dinge – sondern zwei Zustände, zwei Gesichter des einen kosmischen Stoffes.“  

Liebe ist die einzige Kraft, die Dinge vereinen kann, ohne sie zu zerstören.

Die Größe eines Flusses wird erst an seiner Mündung begriffen, nicht an seiner Quelle.
Es ist weniger schwierig, Probleme zu lösen, als mit ihnen zu leben.“ „

Eines Tages, nachdem wir Herr der Winde, der Wellen, der Gezeiten und der Schwerkraft geworden sind, werden wir uns in Gottes Auftrag die Kräfte der Liebe nutzbar machen. Dann wird die Menschheit, zum zweiten Mal in der Weltgeschichte, das Feuer entdeckt haben.“

„Die Welt ist nur nach vorwärts interessant, in dieser Hinsicht geradezu fesselnd.“ „Es gibt eine Innenseite der Dinge, die sich ebenso weit erstreckt wie ihre Außenseite.“

„Der Zweifel ist der Beginn der Wissenschaft. Wer nichts anzweifelt, prüft nichts. Wer nichts prüft, entdeckt nichts. Wer nichts entdeckt, ist blind und bleibt blind.“

„Eines Tages, nachdem wir Herr der Winde, der Wellen, der Gezeiten und der Schwerkraft geworden sind, werden wir uns in Gottes Auftrag die Kräfte der Liebe nutzbar machen. Dann wird die Menschheit, zum zweiten Mal in der Weltgeschichte, das FeuerEs fehlt, behaupte ich, unsrer Poesie an einem Mittelpunkt, wie es die Mythologie für die der Alten war, und alles Wesentliche, worin die moderne Dichtkunst der antiken nachsteht, läßt sich in die Worte zusammenfassen: Wir haben keine Mythologie. Aber, setze ich hinzu, wir sind nahe daran, eine zu erhalten, oder vielmehr es wird Zeit, daß wir ernsthaft dazu mitwirken sollen, eine hervorzubringen.[...]  Die neue Mythologie muß aus der tiefsten Tiefe des Geistes herausgebildet werden; es muß das künstlichste aller Kunstwerke sein, denn es soll alle andern umfassen, ein neues Bette und Gefäß für den alten ewigen Urquell der Poesie und selbst das unendliche Gedicht, welches die Keime aller andern Gedichte verhüllt. [...] Mythologie und Poesie, beide sind eins und unzertrennlich. Alle Gedichte des Altertums schließen sich eines an das andre, bis sich aus immer größern Massen und Gliedern das Ganze bildet; alles greift ineinander, und überall ist ein und derselbe Geist nur anders ausgedrückt. Und so ist es wahrlich kein leeres Bild, zu sagen: die alte Poesie sei ein einziges, unteilbares, vollendetes Gedicht. Warum sollte nicht wieder von neuem werden, was schon gewesen ist? Auf eine andre Weise versteht sich. Und warum nicht auf eine schönere, größere? (Friedrich von Schlegel)
Café DenkMal Philosophisches Café am 05. Mai 2017
Thema: Die Unruhe der Welt


Zuwachs an Kenntnis ist Zuwachs an Unruhe. (Johann Wolfgang von Goethe)

Das gerechte Leben ist von Unruhe am freiesten, das ungerechte aber ist voll von jeglicher Unruhe. (Epikur von Samos)

Erst in einer Zeit der Unruhe kann man Treue erkennen. (Konfuzius) Über den Wassern deiner Seele schwebt unaufhörlich ein dunkler Vogel: Unruhe. (Christian Morgenstern)

Ruhig im Gemüt kann man nur werden in der Unruhe geistiger Arbeit. (Ernst F. A. Rietschel)

Die Unruhe ist ein Daseinsgefühl, eine Welt voller Phantasien, voller Verheißungen und Pläne. Ihre Wucht und Überzeugungsstärke bezieht die Unruhe aus einer geläufigen Prosa des Begehrens, die sich in Bildern der Erneuerung und der Belebung ausspricht. (Ralf Konersmann)

Für die Genealogie der Unruhe ist die neuzeitliche Präparierung der Geschichte interessant, weil sie die Standardvermutung widerlegt, die Moderne habe die Unruhe erfunden. Sie hat sie nicht erfunden, sondern vorgefunden, zu ihrem Vorteil umgewertet und zur Grundlage ihres Weltbildes gemacht. (Ralf Konersmann)

Die Unruhe ist ein hoffnungsfrohes Taumeln, ein massenhaftes Sehnen und Drängen, das die Unterscheidung zwischen Treiben und Getriebensein nicht kennt. (Ralf Konersmann)

Die Formen des Umgangs mit der Unruhe sind in zwei Schlüsselsätzen gebündelt, die sich antithetisch aufeinander beziehen lassen. Der eine entstammt der hellenistischen Philosophie und  besagt, das Glück der Menschen verlange Sorglosigkeit und beständige Ruhe; der andere, aus dem Genesisbericht, beschreibt den Menschen als das Wesen, das zum Zeichen seiner Sündhaftigkeit mit der Unruhe geschlagen ist. (Ralf Konersmann)

Die klassische Vorgehensweise der antiken Klugheitslehren sieht vor, der Unruhe durch die Autopsie ihrer Anlässe beizukommen, und das heißt: ihr durch Interpretation den Boden zu entziehen. (Ralf Konersmann)

Die Normalität der Unruhe erweist sich als Realisierung einstiger Chancen und Möglichkeiten, sie bekommt eine Geschichte. (Ralf Konersmann)

Die Technik des Herausgreifens bei gleichzeitigem Rückbezug auf die Vorvergangenheit charakterisiert ganz wesentlich die Darstellung der Unruhe, die nach der Auskunft der mosaischen Erzählung bereits in der zweiten Generation den Rhythmus der Menschheit zu beherrschen beginnt. (Ralf Konersmann)

Die Unruhe ist das Zeichen der Erlösungsbedürftigkeit des Menschen. (Ralf Konersmann)

Dem Anspruch kritischer Selbstwahrnehmung wird die Kultur der Unruhe erst dann gerecht, wenn sie ihre Antriebsstruktur, statt sich ihr zu überlassen, begreift und beherrschen lernt. (Ralf Konersmann)

Die Verbindung von Schönheit und Selbstgewissheit macht den Blick frei für die so noch nie gesehene, die menschliche Ruhe. (Ralf Konersmann)  

Literatur:
Ralf Konersmann, 2015. Die Unruhe der Welt. Frankfurt am Main: Fischer


DenkMal! Philosophisches Café am 07.04.2017

Thema: Schutz, Kontrolle oder Überwachung?
 
Die Kontrolle der Kontrolle ist das Maß der Freiheit. (Andrea Mira Meneghin)

Vertrauen ist, gut, Kontrolle ist besser. (Wladimir Iljitsch Lenin)

Nur Gewohnheitstrinker haben alles unter Kontrolle. (Pavel Kosorin)

Das Wesen einer freien Regierung besteht in einer wirksamen Kontrolle der Rivalitäten. (John Adams)

Öffentliche Kontrolle und gegebenenfalls Kritik an Politikern ist in der Demokratie nicht nur berechtigt, sondern unerlässlich. (Rita Süssmuth)

Gebt mir die Kontrolle über die Währung einer Nation, und es ist mir gleichgültig, wer die Gesetze macht. (Amschel Meyer Rothschild)

Polizei: bewaffnete Einheit für Schutz und Gewinnbeteiligung. (Ambrose Gwinnet Bierce)

Nur dem friedlichen Bürger gebührt vonseiten der Gesellschaft Schutz. (Georg Büchner)

Geschützte Erziehungsräume gewähren leider auch Schutz vor kritischem Geist. (Reiner Klüting)

Der Staat ist eine kluge Veranstaltung zum Schutz der Individuen gegeneinander. (Friedrich Wilhelm Nietzsche)

Wirkliche Bescheidenheit und Anspruchslosigkeit sind der wahre Schutz gegen die Kränkungen und Zurücksetzungen in der großen Welt. (Helmuth Graf von Moltke)

Da es in jeder Republik mächtige Männer und ohnmächtiges Volk gibt, kann man zweifeln, in wessen Hände man am besten den Schutz der Freiheit legen soll. (Niccolo Machiavelli)

Wer nicht mitarbeiten will an dem Staat zu seinem Schutz, der gehört nicht zum Staat, der hat keine Rechte an den Staat; er soll weichen aus dem Staat. (Fürst von Bismarck)

Strafprozeßordnung (StPO)
§ 100a Telekommunikationsüberwachung
(1) Auch ohne Wissen der Betroffenen darf die Telekommunikation überwacht und aufgezeichnet werden, wenn 1. bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass jemand als Täter oder Teilnehmer eine in Absatz 2 bezeichnete schwere Straftat begangen, in Fällen, in denen der Versuch strafbar ist, zu begehen versucht, oder durch eine Straftat vorbereitet hat, 2. die Tat auch im Einzelfall schwer wiegt und 3. die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Beschuldigten auf andere Weise wesentlich erschwert oder aussichtslos wäre. (2) Schwere Straftaten im Sinne des Absatzes 1 Nr. 1 sind: Straftaten des Friedensverrats, des Hochverrats und der Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates sowie des Landesverrats und der Gefährdung der äußeren Sicherheit b) Bestechlichkeit und Bestechung von Mandatsträgern c) Straftaten gegen die Landesverteidigung d) Straftaten gegen die öffentliche Ordnung e) Geld- und Wertzeichenfälschung  f) Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung g) Verbreitung, Erwerb und Besitz kinder- und jugendpornographischer Schriften h) Mord und Totschlag i) Straftaten gegen die persönliche Freiheit  j) Bandendiebstahl k) Straftaten des Raubes und der Erpressung  l) gewerbsmäßige Hehlerei, Bandenhehlerei und gewerbsmäßige Bandenhehlerei  m) Geldwäsche und Verschleierung unrechtmäßig erlangter Vermögenswerte ausgeschlossen ist, jedoch nur dann, wenn der Gegenstand aus einer der in den Nummern 1 bis 11 genannten schweren Straftaten herrührt n) Betrug und Computerbetrug  Subventionsbetrug  p) Straftaten der Urkundenfälschung  q) Bankrott Straftaten gegen den Wettbewerb s) gemeingefährliche  t) Bestechlichkeit und Bestechung  a) Steuerhinterziehung  b) gewerbsmäßiger, gewaltsamer und bandenmäßiger Schmuggel  c) Steuerhehlerei (3) Die Anordnung darf sich nur gegen den Beschuldigten oder gegen Personen richten, von denen auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass sie für den Beschuldigten bestimmte oder von ihm herrührende Mitteilungen entgegennehmen oder weitergeben oder dass der Beschuldigte ihren Anschluss benutzt. (4) Liegen tatsächliche Anhaltspunkte für die Annahme vor, dass durch eine Maßnahme nach Absatz 1 allein Erkenntnisse aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung erlangt würden, ist die Maßnahme unzulässig. Erkenntnisse aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung, die durch eine Maßnahme nach Absatz 1 erlangt wurden, dürfen nicht verwertet werden. Aufzeichnungen hierüber sind unverzüglich zu löschen. Die Tatsache ihrer Erlangung und Löschung ist aktenkundig zu machen. 

Strafprozeßordnung (StPO)
§ 100b Verfahren bei der Telekommunikationsüberwachung
(1) Maßnahmen nach § 100a dürfen nur auf Antrag der Staatsanwaltschaft durch das Gericht angeordnet werden. Bei Gefahr im Verzug kann die Anordnung auch durch die Staatsanwaltschaft getroffen werden. Soweit die Anordnung der Staatsanwaltschaft nicht binnen drei Werktagen von dem Gericht bestätigt wird, tritt sie außer Kraft. Die Anordnung ist auf höchstens drei Monate zu befristen. Eine Verlängerung um jeweils nicht mehr als drei Monate ist zulässig, soweit die Voraussetzungen der Anordnung unter Berücksichtigung der gewonnenen Ermittlungsergebnisse fortbestehen



DenkMal! Philosophisches Café am 03.03.2017
Thema: Wohnen in seiner sozialen Dimension

Dass der Mensch beim Wohnen in eine intensive Beziehung zur Umwelt tritt, was ihn prägt und was sein Leben mitbestimmt, ist den Wohnenden im Allgemeinen nicht bewusst, denn im Alltag ist das Wohnen nichts Spektakuläres, das besondere Aufmerksamkeit verdienen würde. (Antje Flade)

Von Anbeginn an wurde somit Wohnen mit Verweilen und Bleiben und mit Behaglichkeit und Geruhsamkeit in Verbindung gebracht. Das Bleiben an einem Ort deutet auf eine besonders enge Beziehung zu diesem Ort hin. (Antje Flade)

Wenn Menschen nur ungern mit dem Rücken zur Tür, sondern lieber mit dem Rücken zur Wand sitzen, von der aus sie den Eingang überblicken können, dann lässt sich das problemlos mit dem Bedürfnis nach territorialer Kontrolle erklären. (Antje Flade)

Da die Formen des Bauens und Wohnens immer auch kulturelle Äußerungen sind, ist evident, dass es negative Folgen haben muss, wenn Minoritäten mit ihrer Kultur nicht übereinstimmende Wohnformen aufgezwungen werden. Es wird dadurch nicht nur die Ausübung der kulturtypischen Aktivität behindert, sondern es werden auch die sozialen und persönlichen Normen verletzt. (Antje Flade)

Das Ergebnis von Festinger et al. (1950), dass die nachbarschaftlichen Beziehungen von der architektonischen Gestaltung der Wohnumwelt beeinflusst werden, wurde bestätigt. (Antje Flade)

Der häufigste Grund  für Konflikte ist der von den Nachbarn herrührende Lärm. […] Ansonsten sahen sich die Befragten eher als Opfer und weniger als Verursacher des Lärms. Die Unterschätzung des eigenen Lärms rührt daher, dass sich Menschen der Wirkung des selbstverursachten Lärms nur selten bewusst sind. (Antje Flade)

Ganz anders gestaltet sich der Alltag bei Bewohnern, durch deren Wohnstraße nur ab und zu einmal ein Auto fährt. Sie betrachten den Straßenraum als zu ihrer Wohnumwelt zugehörig. (Antja Flade)

Wer etwas zerstört, gewinnt Kontrolle darüber. Um solchen destruktiven Formen der Aneignung vorzubeugen, empfiehlt es sich, Wohnumwelten von vornherein so anzulegen, dass Spielräume für sozial und gesellschaftlich akzeptierte Formen der Aneignung bleiben. (Antje Flade)

Der Raum besitzt eine symbolische Funktion. Der Mensch reagiert auf seine physische Umwelt nicht unmittelbar, da die Objekte erst über einen Symbolisierungsprozess in seine soziale Welt übertragen und damit zum Bezugspunkt des Menschen werden. (Rudolf Miller)

Wohnen ist ein Verfügen über Atmosphärisches, sofern dem Verfügen durch die Umfriedung ein Spielraum gewährt wird; daher ist die Wohnung ein geschützter Raum, in dem der Mensch dank der filternden Umfriedung in gewissem Maß Gelegenheit hat, sich mit den reinen Stimmungen und den abgründigen Erregungen zu arrangieren, indem er sie in einer Hinsicht züchtet, in einer anderen dämpft und so im günstigen Fall für ein schonendes, aber auch intensives und nuancenreiches Klima der Gefühls sorgt. (Hermann Schmitz)

Literatur:
Antje Fladen, 2006. Wohnen psychologisch betrachtet. Bern: Hans Huber
Rudolf Miller, 1986. Einführung in die Ökologische Psychologie. Opladen:  Leske + Buderich
Hermann Schmitz, 2009. Der Leib, der Raum und die Gefühle. Bielefeld und Basel: Edition Sirius



Café DenkMal Philosophisches Café am 3. Februar 2017
Thema: Glück und Architektur  

Keene stellt fest, dass sich das japanische Schönheitsverständnis seit Langem deutlich von jenem des Westens unterscheidet: Es wird geprägt von der Liebe zum Unregelmäßigen statt zum Symmetrischen, zum Vergänglichen statt zum Ewigen, zum Schlichten, statt zum Prunkvollen. Die Ursache hierfür hat mit Klima oder Genetik nichts zu tun, erklärt Keene, sondern ist in den Bemühungen der Schriftsteller, Maler und Theoretiker zu suchen, die aktiv das Schönheitsbewusstsein ihrer Nation formten.

Es gibt kaum eine schwerwiegendere Anlage gegen die Architektur als jene Trauer, die uns beim Nahen der Bulldozer erfasst, denn fast immer wird unser Kummer von der Abneigung gegen das geschürt, was gebaut werden soll, nicht aber von dem Widerwillen gegen den Gedanken an das Bauen selbst.

Schöne Häuser scheitern nicht nur als Garanten des Glücks, sie müssen sich auch vorwerfen lassen, dass es ihnen durchaus nicht immer gelingt, den Charakter ihrer Bewohner zu verbessern.

Erst im Dialog mit dem Schmerz gewinnen viele schöne Dinge ihre Bedeutung. Kummer gekannt zu haben zählt zu den eher ungewöhnlichen Voraussetzungen, die nötig sind, um Architektur schätzen zu können. Vielleicht müssen wir, von allen anderen Voraussetzungen einmal abgesehen, ein wenig traurig gewesen sein, ehe uns Gebäude zu rühren vermögen.

Ihrem Wesen nach reden Werke der Kunst und Architektur von jener Lebensart, die sich im idealen Fall in ihnen und um sie herum entfalten sollte. Sie erzählen von den Stimmungen, die sie in ihren Bewohnern wecken oder verstärken wollen.

Die Dinge, die wir schön nennen, sind Spielarten der Menschen, die wir lieben. In unseren Schlafzimmern suchen wir Andeutungen von Frieden, Metaphern für Großmut  und Harmonie in unseren Sesseln und einen Hauch Ehrlichkeit und Freigiebigkeit in unseren Wasserhähnen. Eine Säule, die anmutig ihre Last trägt, kann uns tief berühren, aber auch ausgetretene Steinstufen, die Weisheit erahnen lassen, oder eine gregorianische Haustür, deren Lünette ebenso Taktgefühl wie Verspieltheit beweist.

Ein architektonisches Werk oder einen Entwurf schön zu nennen heißt, darin eine Darstellung von Werten zu erkennen, die für unser Wohlergehen unabdingbar sind, eine Verkörperung individueller Ideale durch ein stoffliches Medium.

Dafür ehren wir jene Orte mit dem Wort „Zuhause“, deren Äußeres uns entspricht und uns legitimiert.

An schönen Orten zu verweilen, hielt man nicht für maßlosen Luxus, sondern man sah hierin eine unabdingbare Voraussetzung für das Bestreben, ein guter Mensch zu werden.

Im tiefsten Inneren wünschen wir uns, jene Gegenstände und Orte, deren Schönheit uns berührt, nicht bloß zu besitzen, sondern ihnen ähnlich zu werden. 

Literatur: Alain de Botton, 2008. Glück und Architektur. Von der Kunst, daheim zu Hause zu sein. Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag

DenkMal! Philosophisches Café am 06. Januar 2017

Thema: Atmosphäre

Der Mensch soll seine Atmosphäre immer mitbringen. (Christian Friedrich Hebbel)

Das Genie kann nur in einer Atmosphäre der Freiheit frei atmen. (John Stuart Mill)

In einer Atmosphäre von Feindschaft lässt sich leben; Mangel an Wohlwollen ist schlimmere Luft. (Arthur Schnitzler)

Ein guter Mensch verbreitet eine Atmosphäre des Glücks, die allen zugutekommt, die um ihn sind. (Paolo Mantegazza)

Die Bedrückende Atmosphäre durch laut erhobene Stimmen im Raum wird spontan gebremst, wenn jemand plötzlich flüstert. (Christa Schyboll)

Es sind nicht die Scheinwerfer, sondern die vielen kleinen Glanzlichter, die unserem Alltag Atmosphäre verleihen können. (Helmut Glaßl)

Zu jeder Zeit liegen einige große Wahrheiten in der Luft; sie bilden die geistige Atmosphäre des Jahrhunderts. (Marie Freifrau von Ebner-Eschenbach)

Wer zum Glück der Welt beitragen möchte, der sorge zunächst einmal für eine glückliche Atmosphäre in seinem eigenen Haus. (Albert Schweitzer)

Eine hübsche, gewandte Frau gleicht einer Atmosphäre, in der die Spannung der Nerven sich löst und alle Gefühle milder werden. (Honoré de Balzac)

Stets wird es die Politik sein, von der die Atmosphäre eines Landes bestimmt wird, nicht Wissenschaft und Kunst. (Arthur Schnitzler)

Nur, wenn du du selbst sein darfst, fühlst du dich geborgen. In einer Atmosphäre gesteigerter Kritik spürst du Enge – Gefangensein. (Irina Rauthmann)

Die Aufgabe des Künstlers besteht darin, das darzustellen, was sich zwischen dem Objekt und dem Künstler befindet, nämlich die Schönheit der Atmosphäre. (Claude Monet)

Wir schaffen uns die Atmosphäre, in der wir leben; denn welcher Art unsere Gedanken sind, die wir ausschicken, derart sind die, welche zu uns zurückkommen. (Friedrich Clemens Gerke)

Die reinigende Kraft der Wahrheit ist so groß, dass schon das Streben nach ihr ringsum eine bessere Luft verbreitet, die zerstörende Kraft der Lüge so furchtbar, dass schon die Neigung zu ihr die Atmosphäre vergiftet. (Arthur Schnitzler)

Wir wandeln alle in Geheimnissen. Wir sind von einer Atmosphäre umgeben, von der wir noch gar nicht wissen, was sich alles in ihr regt und wie es mit unserm Geiste in Verbindung steht. (Johann Wolfgang von Goethe)

Niemals ist es das Problem, das du gewählt, niemals der Geist, mit dem du es behandelt, was dein Werk in die Zukunft tragen wird; immer sind es nur die Gestalten, die du gebildet und die Atmosphäre, die du rings um sie geschaffen hast. (Arthur Schnitzler)